Drei Fragen an ... Benjamin Görlach, Agora Energiewende
Benjamin Görlach erläutert in unserer Interviewreihe warum es lohnt, Leitmärkte für klimafreundliche Produkte europäisch zu denken und welche europäischen Maßnahmen es braucht, um sie zu etablieren und weiter zu entwickeln.

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Grüne Leitmärkte benötigen klare Standards oder Labels, welche Produkte als klimafreundlich gelten, sowie eine transparente Berichterstattung und Zertifizierung, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren.
Der EU Clean Industrial Deal formuliert unter anderem das Ziel, den Aufbau eines Business Case für dekarbonisierte Produkte durch Maßnahmen auf der Nachfrageseite („Leitmärkte“) aufzubauen. Welche sind die effektivsten Maßnahmen auf EU-Ebene zur Gestaltung von Leitmärkten für klimafreundliche Produkte?
Fokussierung ist entscheidend: Grüne Leitmärkte funktionieren für Produkte und Marktsegmente, bei denen klimafreundliche Alternativen mit vertretbaren Mehrkosten bereits zur Verfügung stehen – aber in die noch zu wenig investiert wird, weil die Nachfrage fehlt. Entscheidend ist, dass die Produkte einen spürbaren Beitrag zur Senkung der (indirekten) Emissionen bringen. Besonders vielversprechend sind unserer Analyse zufolge Märkte für Grundstoffe wie klimafreundlich produzierten Stahl, Aluminium, Zement, Beton und Kunststoffe sowie Endprodukte wie Autos, Gebäude und Verpackungen. Grüne Leitmärkte benötigen klare Standards oder Labels, welche Produkte als klimafreundlich gelten, sowie eine transparente Berichterstattung und Zertifizierung, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren. Dabei ist ein tragfähiges Finanzierungsmodell entscheidend: öffentliche Beschaffung kann den Markt anschieben, langfristig braucht es jedoch Quoten, CO2-Grenzwerte oder steuerliche Anreize, um private Nachfrage zu mobilisieren und Investitionen zu hebeln.
Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2024 das Konzept „Leitmärkte für klimafreundlichen Produkte“ erstellt. Solche Leitmärkte werden nun von der deutschen Bundesregierung und Industrie diskutiert. Warum lohnt es sich, Leitmärkte für klimafreundliche Produkte von vornherein europäisch zu denken?
Es gibt gute Gründe, grüne Leitmärkte von vornherein europäisch zu denken. Ein EU-weiter Ansatz hilft, das enorme Potential der 500 Millionen Europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher zu nutzen – eine wirtschaftliche Kraft, die den Vergleich mit China und den USA nicht scheuen muss. Das ist auch für die deutsche Industrie interessant, die überwiegend in andere EU-Länder exportiert. Zudem reduziert ein europäisches Vorgehen beihilferechtliche Risiken, die bei nationalen Alleingängen durchaus zum Problem werden können. Daneben fördern europaweite Leitmärkte den Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern klimafreundlicher Technologien, was der Gefahr zu großer Marktmacht und höheren Preisen durch einzelne Anbieter entgegenwirkt – insbesondere, wenn die Nachfrage anzieht und auf ein begrenztes Angebot stößt. Dies ist entscheidend, da Leitmärkte für klimafreundliche Produkte zunächst Nischenmärkte mit wenigen Anbietern und Herstellung in wenigen Anlagen sein werden. Wenn diese Märkte die gesamte EU umfassen, ist es naturgemäß schwieriger, eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen. Zudem ermöglicht ein europäischer Ansatz länderübergreifende Standards und verhindert einen Subventionswettlauf der nationalen Regierungen um Hersteller. Mit gemeinsamen Regeln, einheitlichen Rahmenbedingungen und koordiniertem Vorgehen kann ein wirksamer und wettbewerbsfähiger Markt für klimafreundliche Produkte entstehen.
Der EU-Grenzausgleichmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) soll die Grundstoffindustrie vor unfairem Wettbewerb schützen und die Verlagerung von CO2-Emissionen (Carbon Leakage) vermeiden. Wie kann CBAM dazu beitragen, Leitmärkte für klimafreundliche Produkte global weiterzuentwickeln und eine Umschichtung von Ressourcen (Resource Shuffling) vorzubeugen?
Das Verhältnis zwischen CBAM und globalen grünen Leitmärkten ist komplex – denn der CBAM ist in erster Linie ein Instrument, um die heimische Industrie zu schützen und höhere klimapolitische Ambitionen in der EU zu ermöglichen. Insofern gibt es auch ein Spannungsverhältnis: wenn Unternehmen in Drittstaaten in klimafreundliche Produktion investieren, kann die EU das als Versuch interpretieren, den CBAM zu umgehen. Nämlich dann, wenn lediglich der klimafreundliche Teil der Produktion nach Europa exportiert wird, während der konventionell hergestellte Anteil im Land verbleibt – das sogenannte resource shuffling. Eine denkbare Lösung wäre eine Anforderung, dass der CBAM Importe in die EU nur dann als klimafreundlich bewertet, wenn diese nicht ausschließlich für den Export produziert werden, sondern ein Teil davon im Land verbleibt. Was praktisch bedeutet, dass es auch im Herkunftsland eine Art von Leitmarkt gibt. Insofern können Leitmärkte und CBAM auch zusammenwirken, etwa durch die Bildung von „Klima-Clubs“, in denen sich Länder zu CO2-Bepreisung, einheitlichen Standards und gegenseitigem Marktzugang verpflichten. Schon allein die Ankündigung des CBAM hat viele Länder veranlasst, die CO2-Bepreisung im eigenen Land schneller voranzutreiben – diesen Impuls sollte die EU stärker nutzen. So kann der CBAM einen Beitrag dazu leisten, den Aufbau globaler grüner Märkte zu fördern.
Zur Person
Benjamin Görlach, Leiter für EU-Klimaökonomie und -finanzierung, Agora Energiewende
Benjamin Görlach arbeitet zu Fragen rund um die Transformation der Europäischen Wirtschaft zur Klimaneutralität, insbesondere zur Finanzierung und der politischen Steuerung der Transformation. Benjamin Görlach ist seit 2025 bei Agora Energiewende. Zuvor war er 16 Jahre beim Ecologic Institute tätig. Als Head of Economics leitete er dort zahlreiche Projekte zur Europäischen Klimapolitik, insbesondere zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Emissionshandels und des CBAM. Daneben leitete er viele Jahre ein Programm zur Kapazitätsentwicklung für Emissionshandel in Schwellenländern.
Über die Interviewreihe
In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.
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