Die Skalierbarkeit CO2-neutraler Technologien, die Verfügbarkeit und Identifizierbarkeit klimaschonend hergestellter Grundstoffe und eine verlässliche Nachfrage sind entscheidende Faktoren, damit klimafreundliche Produkte zum Standard werden. Leitmärkte für klimaschonend hergestellte Grundstoffe schaffen Planungssicherheit für Unternehmen und fördern damit Investitionen in innovative Produktionsverfahren.
Erklärfilm zum Thema „Grüne Leitmärkte“

Warum brauchen wir Leitmärkte?
Die industrielle Transformation hin zur Klimaneutralität wird durch einen Mix von zwei sich ergänzenden Strategien vorangetrieben: angebots- und nachfrageseitige Instrumente. Bisher lag der Schwerpunkt vor allem auf angebotsorientierten Maßnahmen – auf der CO₂-Bepreisung, auf Förderprogrammen wie der Bundesförderung für Industrie und Klimaschutz (BIK) und den Klimaschutzverträgen (KSV) und auf umweltrechtlichen Vorgaben. Für eine wirtschaftlich tragfähige Transformation ist aber auch die gezielte Förderung der Nachfrage entscheidend.
Mit nachfrageseitigen Instrumenten, die den Absatzmarkt für klimafreundliche Produkte aktiv gestalten, können „Leitmärkte“ entwickelt werden. Sie verschaffen Unternehmen, die als Vorreiter solche Produkte anbieten, einen Wettbewerbsvorteil. Dabei greifen mehrere politische Hebel ineinander: Umweltlabels beispielsweise erhöhen die Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit klimaneutraler Erzeugnisse, während eine nachhaltige öffentliche Beschaffung die Nachfrage nach klimaneutralen Lösungen systematisch anschiebt. 2024 hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Konzept für die Gestaltung von Leitmärkten für klimafreundliche Grundstoffe vorgelegt. Grundlage dafür war ein branchenübergreifender Stakeholderprozess.
Standards und Labels schaffen Vertrauen und Transparenz entlang der Wertschöpfungskette
Ein zentrales Hindernis für die Etablierung der Leitmärkte ist die fehlende Transparenz. CO2-Emissionen aus der Produktion bleiben unsichtbar, und die Akteure entlang der Wertschöpfungskette kennen die Emissionsbilanz eines Produkts nicht.
Um privaten und öffentlichen Kunden die Möglichkeit zu geben, zu erfahren, ob ein Grundstoff klimafreundlich hergestellt wurde, sind Standards und Labels hilfreich.
Standards legen fest, wie Treibhausgasfußabdrücke berechnet werden müssen. Sie definieren einheitlichen Methoden und Kriterien, wodurch die Messungen und Berichterstattungen für Instrumente wie Product Carbon Footprint vergleichbar und zuverlässig sind.
Labels machen die Klimafreundlichkeit von Grundstoffen sichtbar und schaffen Vertrauen. Ein vertrauenswürdiges Label gibt auf Basis von Standards Auskunft über die bei der Produktion eines Grundstoffs entstandenen Treibhausgasemissionen. So können Verbraucher*innen eine bewusste Kaufentscheidung treffen und Produzenten können ihre Fortschritte bei der Transformation belegen.
Auch für den künftigen digitalen Produktpass ist die Nutzung von Standards und Labels für klimafreundliche Grundstoffe wichtig. Endkunden, die ein Produkt mit unterschiedlichen Grundstoffen (zum Beispiel ein Auto) kaufen möchten, können alle Produktinformationen abrufen. Dazu gehören etwa Angaben zum CO2-Fußabdruck oder zur Einhaltung des Lieferkettengesetzes entlang der Wertschöpfungskette – von den verwendeten Rohstoffen bis zu den Recyclingmöglichkeiten.
Standards und Labels bieten klare Vorteile:
Planungssicherheit: Produzenten können langfristig investieren, da ihre Bemühungen anerkannt werden.
Transparenz: Sie zeigen, wie klimafreundlich ein Grundstoff ist.
Vertrauen: Einheitliche Definitionen verhindern „Greenwashing“.
Öffentliche Beschaffung als Hebel
Ein zentraler Schritt zur Entwicklung der Leitmärkte besteht darin, öffentliche Beschaffungsstellen zu mobilisieren. Sie können als „Erstkunden“ auftreten, indem sie innovationsfördernde Beschaffungspraktiken anwenden und Labels für klimaneutrale Produkte als Beschaffungskriterien nutzen.
Gütezeichen und Bewertungssysteme können bei der öffentlichen Beschaffung und für die KfW-Förderung als Kriterien dienen. Auch im Vergaberecht könnten Umweltkriterien wie der CO₂-Fußabdruck von Rohstoffen eine Rolle spielen. So ließe sich etwa klimafreundlich hergestellter Stahl für den Ausbau von Stromnetzen und Windenergie fördern.
(Agora Industry 2024)
EU-Rahmen für Leitmärkte
Die EU fördert gezielt die Etablierung der Leitmärkte durch eine Kombination aus Regulierung und Marktdesign. Sie definiert Standards für Produktanforderungen und Kennzeichnungen. Zudem treiben zahlreiche EU-Gesetzte und Strategien die Entwicklung der Leitmärkte voran, etwa das EU-Klimagesetz, der Grüne Industrieplan und der EU-Clean-Industrial-Deal. Schließlich prägt die EU durch ihren integrativen Ansatz die Bildung globaler Standards.
Green Claims-Richtlinie (Green Claims Directive, GCD): Sie schützt den Markt vor Manipulation, fördert Transparenz und stärkt das Vertrauen.
Ökodesign-Verordnungen (Ecodesign for Sustainable Products Regulation, ESPR): Sie legt Mindestanforderungen für CO₂-Fußabdruck und Recyclinganteil bestimmter Produkte fest.
Bauproduktenverordnung (Construction Products Regulation, CPR). Ab 2026 müssen Hersteller den CO₂-Fußabdruck von Baustoffen wie Zement angeben.
Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD-Richtlinie): Ab 2028 müssen Neubauten der öffentlichen Hand ihre Lebenszyklusemissionen offenlegen.
Netto-Null-Industrie-Verordnung (Net-Zero Industry Act, NZIA): Mit der Einführung von nicht-preislichen Kriterien (non-price criteria) in öffentlichen Ausschreibungen und Fördermaßnahmen sollen neben dem Preis qualitative Aspekte (CO₂-Fußabdruck, Resilienz, Nachhaltigkeit, Innovationsgrad) berücksichtigt werden. Dadurch sind Unternehmen im Vorteil, die nachhaltige Baustoffe produzieren.
EU Clean Industrial Deal: Der EU Clean Industrial ist ein politisches Leitkonzept, dass die industriepolitische Säule des Europäischen Grünen Deals bildet und verschiedene Ziele formuliert. Darunter soll ein einheitliches EU-Label für klimafreundliche Industrieprodukte Unternehmen ermöglichen, die Klima- und Umweltleistung eines Produkts sofort zu erkennen und zu berücksichtigen.
Grenzausgleichmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM): Stellt CO2-Kosten auf Importe sicher – schützt europäische grüne Leitmärkte vor Dumping.
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Dr.
Chiara Iurato
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KEI Podium 2025 „Grüne Leitmärkte: Wie gelingt der Markthochlauf für nachhaltige Industrieprodukte?“
22.05.2025
Praxisbeispiele

LESS (Low Emission Steal Standard)
Auf der Hannover Messe 2024 stellte die Wirtschaftsvereinigung Stahl (WVS) das freiwillige privatwirtschaftliche Label- und Kennzeichnungssystem LESS (Low Emission Steel Standard) vor. Es basiert auf Definitionen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dem WVS-Regelwerk.
LESS berücksichtigt sowohl den Einsatz von Schrott als auch emissionsreduzierten Primärstahl. Damit können Unternehmen freiwillig ihre Fortschritte bei der Reduktion klimarelevanter Emissionen zertifizieren lassen und kommunizieren.

Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude
Im Bausektor signalisieren Labels wie das Gütesiegel „Nachhaltiges Gebäude“ (QNG) und das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen (BMWB) umweltfreundliche Produkte. Diese Kennzeichnungen fördern nachhaltige Bauweisen und stärken das Vertrauen der Kunden.

Globale Standards für klimaneutralen Beton und Zement
Die Global Cement and Concrete Association (GCCA) stellte auf der Weltklimakonferenz in Baku (COP29) internationale Definitionen für klimaneutralen Beton und Zement vor. Grundlage für die Definitionen sind die so genannten Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declarations, EPDs), die in der Branche etabliert sind.

Hamburg Hochbahn U-Bahn-Linie U5
Die Ausschreibung der neuen U-Bahn-Linie 5 in Hamburg berücksichtigte ausschließlich Angebote mit klimafreundlichen Grundstoffen wie Zement und Stahl. Eine von der Hochbahn U% Projekt GmbH in Auftrag gegebene Studie ergab, dass der Bau der U5-Linie durch die Verwendung von grünen Grundstoffen 70 Prozent weniger CO₂-Emissionen verursacht als ein vergleichbares U-Bahn Bauprojekt.

Cement Carbon Class (CCC)
IDer Verein Deutscher Zementwerke e. V. (VDZ) hat mit dem „CCC-Label“ ein privatwirtschaftlich initiiertes, freiwilliges Label für Zement eingeführt. Dieses Label ermöglicht es, Zemente in Abhängigkeit von den bei ihrer Herstellung entstehenden Treibhausgasemissionen in eine entsprechende Carbon-Klasse einzustufen. Diese Klassen leiten sich aus den im Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ definierten Schwellenwerten ab.