Drei Fragen an ... Dr. Jörg Megow, Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN)
Dr. Jörg Megow spricht in unserem Interview über die Wahl von Systemgrenzen für Produkte sowie existierende Normen zur Ermittlung von produktspezifischen Treibhausgasemissionen.

Copyright: Eva Häberle
Es ist wichtig, dass alle interessierte Kreise daran mitwirken, dass wir ein konsistentes System an PCR-Standards mindestens in der europäischen und möglichst in der internationalen Normung erarbeiten.
Die Wahl der Systemgrenzen (z.B. Cradle-to-Cradle vs. Cradle-to-Gate vs. Cradle-to-Grave) entscheidet maßgeblich über die Klimawirkung eines Produkts. Aus der Sichtweise einer nachhaltigen Normung, welche Grenzen sind für energieintensive Produkte wie Stahl, Zement oder Kupfer besonders sinnvoll?
Bezüglich der Wahl der Systemgrenzen eines Produktes ist entscheidend, ob es sich um ein Zwischenprodukt oder um ein Endprodukt handelt. Bei einem Endprodukt halte ich es für essenziell, dass vergleichbare über den gesamten Lebenszyklus ermittelte Treibhausgasfußabdrücke berichtet werden. Bei einem Zwischenprodukt wie z. B. Stahl ist aber in den meisten Fällen gar nicht absehbar, ob dieser z. B. in einem Gebäude oder in einer Maschine genutzt wird. Dies hätte natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Nutzungsphase in einer Cradle-to-Grave-Betrachtung. Und selbst wenn die Nutzungsphase bekannt wäre, hielte ich persönlich es für unplausibel, wenn der Treibhausgasfußabdruck eines Zwischenproduktes hauptsächlich davon abhinge, wie dieses Zwischenprodukt nachgelagert verwendet wird und weniger davon, welche Anstrengungen der Hersteller unternimmt, den Cradle-to-Gate-Fußabdruck zu senken.
Für wichtig halte ich, dass Cradle-to-Gate-Angaben für Zwischenprodukte in vergleichbarer Weise an die Hersteller von Endprodukten weitergeleitet werden, damit bezüglich der Endprodukte alle relevanten Emissionen ermittelt und berichtet werden können.
Welche DIN-Normen oder Normenfamilien halten Sie für besonders geeignet, um in öffentliche Ausschreibungen als Eignungs- oder Zuschlagskriterien aufgenommen zu werden – etwa zur Bewertung klimafreundlicher Materialien wie Zement oder Stahl? Gibt es bereits Beispiele, wie Normung gezielt in die Vergabepraxis integriert wurde?
Ich würde hier gern noch einen Schritt zurückgehen und zunächst diskutieren, welche Normen es überhaupt gibt, um produktspezifische Treibhausgasemissionen zu ermitteln und zu berichten.
Wenn wir über den Treibhausgasfußabdruck eines Produktes (in 14067: Carbon Footprint of a Product, CFP; geläufiger ist meist der Product Carbon Footprint, PCF) reden, ist zweifellos DIN EN ISO 14067 zu nennen, die grundlegende Anforderungen für die Ermittlung des PCF definiert. DIN EN ISO 14067 steht aber nicht allein. Letztlich müssen die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden, diesbezüglich sind DIN EN ISO 14040 bzw. DIN EN ISO 14044 zu beachten. Nun sollte eine Umwelterklärungen aber auch auf definierte Weise erfolgen. Diesbezüglich sind z. B. DIN EN ISO 14020 (allgemeine Anforderungen bzgl. Umwelterklärungen), DIN EN ISO 14025 (Umweltproduktdeklarationen) und DIN EN ISO 14026 (Kommunikation von Fußabdruckinformationen) zu nennen.
Da verschiedene Produkte sich jedoch stark unterscheiden (für einen Dachziegel und ein Mobiltelefon sind verschiedene produktspezifische Anforderungen zu definieren), muss es auch bezüglich ebendieser produktspezifischen Anforderungen Einigkeit geben (z. B. bezüglich der funktionellen Einheit, Systemgrenzen, Annahmen zum Lebenszyklus, Allokationen usw.). Solche Anforderungen werden in sogenannten Produktkategorieregeln (Product Category Rules, PCR) definiert. Eine sehr wichtige europäische Norm im Bereich Bauprodukte ist deshalb DIN EN 15804, die unter anderem klare Anforderungen an PCR im Bausektor enthält.
In komplexen Produkten wie Gebäuden, Windrädern oder Fahrzeugen summieren sich viele CO2-relevante Zwischenprodukte – etwa Stahl, Aluminium, Kupfer, Glas oder Zement. Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht nachhaltige Normungsansätze oder digitale Werkzeuge (z.B. der Digital Product Pass), um diese fragmentierten Klimawirkungen entlang der Kette zu integrieren und für Märkte und Beschaffung sichtbar zu machen?
Wichtig ist, dass wir Normen entwickeln und weiterentwickeln, die in ihrer Gesamtheit ein kohärentes und konsistentes System ergeben. Wenn der PCF eines Zwischenproduktes ganz anders ermittelt wird als ein anderes Zwischenprodukt desselben Endproduktes, erhalten wir Inkonsistenzen. Deshalb ist es wichtig, dass alle interessierten Kreise jetzt daran mitwirken, dass wir ganz konsequent ein konsistentes System an PCR-Standards mindestens in der europäischen und möglichst in der internationalen Normung erarbeiten. Dazu benötigen wir aus meiner Sicht zumindest Sektor-spezifische PCR-Normen, die aber gleichzeitig eine sektorübergreifende Berichterstattung erlauben. Diese Normen enthalten dann die nötigen Informationen, um die Information PCF für einen digitalen Produktpass vergleichbar zu ermitteln.
Zur Person
Dr. Jörg Megow, Projektkoordinator Klimawandel, Deutsches Institut für Normung (DIN) e.V.
Dr. Jörg Megow ist promovierter Physiker. Er ist seit sechs Jahren beim Deutschen Institut für Normung (DIN) tätig und dort seit knapp drei Jahren Projektkoordinator Climate Action. Die von ihm koordinierte DIN-Aktionsgruppe Klima hat die Aufgabe, Fachausschüsse in die Lage zu versetzen, Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und zirkuläre Konzepte in ihrer Normungsarbeit zu berücksichtigen. Ein wichtiges Thema ist dabei die Entwicklung kohärenter Produktkategorieregeln in der Normung mit dem konkreten Ziel, ausgewiesene Treibhausgas-Fußabdrücke und andere Umwelteigenschaften von Produkten besser vergleichbar zu machen
Über die Interviewreihe
In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.
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Begriffserläuterungen
Die Begriffe Cradle-to-Cradle, Cradle-to-Grave und Cradle-to-Gate stammen aus der Lebenszyklusanalyse und beschreiben verschiedene Bewertungsansätze für Umweltwirkungen.
Während Cradle-to-Grave den linearen Lebensweg eines Produkts bis zur Entsorgung abbildet, steht Cradle-to-Cradle für zirkuläres Design, bei dem Abfall zu neuem Rohstoff wird. Cradle-to-Gate betrachtet nur den Weg bis zum Werkstor, ohne die gesamte Lieferkette und deren Zirkularität einzubeziehen.