Zum Hauptinhalt springen
04.07.2025

Drei Fragen an...Frauke Eustermann, Bellona Deutschland

In unserer Interviewreihe haben wir mit Frauke Eustermann über die Rolle der öffentlichen Beschaffung bei der Etablierung von Märkten für klimafreundliche Produkte gesprochen.

Portraitbild von Frauke Eustermann.
Das Potenzial, durch öffentliche Ausschreibungen eine stärkere Nachfrage nach regional verfügbaren, klimafreundlichen Materialien zu erzeugen, bleibt vielerorts noch ungenutzt.
Frauke Eustermann, Bellona Deutschland

Die öffentliche Beschaffung spielt eine Schlüsselrolle beim Ausbau der Nachfrage nach klimafreundlich hergestellten Grundstoffen. Besonders relevant ist dabei der Bausektor, in dem Materialien wie Stahl und Zement zentrale Bestandteile sind. Welche weiteren Schritte sind notwendig, um klimafreundliche Grundstoffe in der öffentlichen Vergabe/Beschaffung zu verankern und was sind derzeit die größten Hindernisse dabei?

Um klimafreundliche Grundstoffe stärker in der öffentlichen Vergabe zu verankern, braucht es verbindliche ökologische Mindestanforderungen in Ausschreibungen. Die gezielte Einführung von Produktstandards wie dem „LESS“-Label (Low Emission Steel Standard) für Stahl und das „CCC“-Label (Cement Carbon Class) für Zement bildet dafür eine wichtige Grundlage. Ergänzend sollten Vergabeverfahren stärker innovationsfreundlich gestaltet werden, z. B. durch innovationsorientierte Wettbewerbe oder funktionale Leistungsbeschreibungen. Auch der Aufbau zentraler Informationsplattformen zu umweltfreundlichen Materialien und Best Practices kann Beschaffungsstellen praxisnah unterstützen.

Herausfordernd bleibt insbesondere die begrenzte Integration von Lebenszykluskosten in Bewertungsverfahren. Zudem fehlt es vielerorts an personellen Ressourcen und Know-how, um ökologische Kriterien konsequent umzusetzen. Dass der Preis weiterhin das Hauptkriterium darstellt, bremst nachhaltige Optionen aus. Ein klarer politischer Rahmen, wie etwa das Vergabetransformationsgesetz, der Umweltaspekte stärker priorisiert, sowie gezielte Fortbildungen können helfen, diese Hürden zu überwinden. Ergänzend tragen Nachhaltigkeitslabel wie LESS und CCC dazu bei, ökologische Kriterien im Beschaffungsprozess sichtbarer und vergleichbarer zu machen.
 

Welche erfolgreichen Beispiele für eine klimafreundliche öffentliche Beschaffung im Bausektor gibt es bereits und an welchen Stellen sehen Sie das größte ungenutzte Potenzial, um durch öffentliche Aufträge grüne Leitmärkte zu stärken?

Ein erfolgreiches Beispiel für klimafreundliche öffentliche Beschaffung im Bausektor ist die neue Hamburger U-Bahn-Linie U5. Hier wird gezielt auf emissionsarmen Beton und Stahl, Recyclingbaustoffe und energieeffiziente Bauprozesse gesetzt. Zudem werden Anforderungen zur CO2-Reduktion bereits in frühen Planungsphasen berücksichtigt – ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltiger Infrastruktur. 

Ein weiteres Pionierprojekt ist die „Circular City Heidelberg“. Dort entsteht auf dem Patrick-Henry-Village ein digitales Materialkataster, mit dem bestehende Bausubstanz systematisch erfasst und für die Wiederverwendung vorbereitet wird – bis zu 90 Prozent der Altmaterialien sollen wieder eingebaut werden. Damit setzt Heidelberg neue Maßstäbe für zirkuläres Bauen in kommunalen Projekten.

Noch ungenutzt bleibt vielerorts das Potenzial, durch öffentliche Ausschreibungen eine stärkere Nachfrage nach regional verfügbaren, klimafreundlichen Materialien zu erzeugen. Auch fehlt es an einem strategischen Zusammenspiel mehrerer Kommunen, um durch gebündelte Nachfrage Skaleneffekte für grüne Baustoffe zu schaffen. Zudem könnten digitale Tools zur CO2-Bilanzierung und Materialwahl die Entscheidungsprozesse wesentlich nachhaltiger gestalten und so die Transformation des Bausektors beschleunigen.
 

Ein Vergabetransformationspaket wurde bereits von der Ampelkoalition initiiert, um ökologische und innovationsfördernde Kriterien in den Vergabeprozessen zu integrieren und gleichzeitig den administrativen Aufwand zu reduzieren. Eine Aktualisierung des Vergaberechts steht ebenfalls auf der Agenda der neuen Regierung. Welche wesentlichen Änderungen im Vergabeprozess sind erforderlich, damit die öffentliche Beschaffung zur Etablierung von Leitmärkten dienen kann?

Ein effektiver Beitrag der öffentlichen Beschaffung zur Etablierung von Leitmärkten erfordert tiefgreifende Änderungen im Vergabeprozess. Zentrale Voraussetzung ist die konsequente Ausrichtung auf ökologische, soziale und innovative Kriterien, die über den reinen Preisfokus hinausgehen. Diese Kriterien müssen verbindlich und zugleich praxisnah gestaltet werden, um ihre Wirkung zu entfalten. 

Gleichzeitig bedarf es eines Abbaus bürokratischer Hürden, damit Vergabeverfahren schneller, digitaler und effizienter werden – ohne dabei an Transparenz und Rechtssicherheit zu verlieren. Besonders wichtig ist, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stärker eingebunden werden, etwa durch lose Leistungsbündelung, vereinfachte Nachweisverfahren und gezielte Beratung. Auch eine stärkere Standardisierung und einheitliche Auslegung der Vorgaben durch zentrale Vergabestellen könnten die Qualität und Wirkung der Vergaben erhöhen. Nur wenn Nachhaltigkeit und Innovation systematisch und schnellstmöglich in den Beschaffungsalltag integriert werden, kann der Staat seine Marktmacht effektiv zur Förderung von Leitmärkten nutzen.

Zur Person

Frauke Eustermann, Fachreferentin Nachhaltiges Bauen, Bellona Deutschland

Frauke Eustermann ist seit Juli 2023 bei Bellona Deutschland für das Thema nachhaltiges Bauen zuständig. Ihr Fokus liegt dabei auf der Etablierung von grünen Leitmärkten mit den Schwerpunkten grüner Zement und grüner Stahl. Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft war auch in ihren vorherigen Tätigkeiten in politiknahen Institutionen sowie in Unternehmen der Privatwirtschaft ihre Aufgabe.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.
Alle Interviews

Meldungen

  • Akkumodul für Elektrofahrzeuge
    14.07.2025 | Nationale Kontaktstelle (NKS) EU-Innovationsfonds

    Die Ergebnisse des Förderaufrufs „IF24 Battery“ stehen fest. Die Europäische Kommission investiert in sechs innovative Batterieprojekte für…

  • Menschengruppe an einem Messestand
    03.07.2025

    Ende Juni fanden in Cottbus erstmals die Decarbon Days statt. Das KEI war mit einem eigenen Stand sowie mit einem Beitrag von KEI-Leiter Jakob…