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29.04.2025

Drei Fragen an...Hannes Kracht, FfE

In unserer Interviewreihe haben wir mit Hannes Kracht über die Potenziale der Flexibilisierung in der Glasherstellung, die Chancen des Einsatzes von Hybridtechnologien sowie die notwendigen Rahmenbedingungen für diesen gesprochen.

Eine Dekarbonisierung der Glasindustrie, egal ob überwiegend basierend auf hybriden oder vollelektrischen Schmelzwannen, geht immer mit einer signifikanten Elektrifizierung der Standorte einher.
Hannes Kracht, FfE

Wie hoch sind die Potenziale für Flexibilisierung in unterschiedlichen Prozessen der Glasherstellung, und welche Gemeinsamkeiten gibt es bei allen Glastypen?

Für alle Glastypen und eingesetzte Schmelzwannen gilt: Die Glasherstellung ist ein vollkontinuierlicher Prozess, bei dem jegliche Prozessänderungen nur behutsam über den Zeitraum von Stunden bis Wochen eingestellt werden, um das Schmelzverhalten kontrollieren zu können und die gewünschte Produktqualität zu erhalten. Die Formgebung muss direkt im Anschluss erfolgen und ist für einige Glastypen, beispielsweise Flach- oder Spezialglas, durch die Eigenschaften der Schmelze vorgegeben. Diese Glastypen reagieren damit besonders empfindlich auf Prozessanpassungen. Durch diese technischen Limitierungen hat der Kernprozess keine signifikanten, kurzfristigen Energieflexibilitätspotenziale (EFP). Es ist jedoch denkbar, weitere EFP durch zusätzliche Flexibilitätsoptionen, wie beispielsweise Energiespeicher, insbesondere Batteriespeicher, zu erschließen. Neben einem entsprechendem Capacity Building müssen dafür jedoch auch die entsprechenden infrastrukturellen Voraussetzungen an den Standorten gegeben sein. Ein erlösorientierter Stromhandel war bisher in der Regel keine Kernkompetenz in den Unternehmen. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass jeder Standort sowie jedes Produkt der Glasindustrie eigene, höchst individuelle Anforderungen und Voraussetzungen hat und es keine allgemeingültigen Lösungen gibt.

Welchen Beitrag können Hybridtechnologien zur Flexibilisierung der Glasherstellung leisten, und welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig?

Für die Transformation der Glasindustrie kommen hybride (Wasserstoff/Strom) und vollelektrische Schmelzwannen in Frage. Nach aktuellem Stand der Technik können nicht alle Glastypen vollelektrisch hergestellt werden. Bereits heute wird eine elektrische Zusatzheizung (Boosting) eingesetzt, vorrangig um Tonnageanpassungen von etwa +/- 10 Prozent zu ermöglichen. Als echte Hybridwannen werden jedoch Wannen bezeichnet, die theoretisch im Korridor von 20 Prozent bis 80 Prozent Strom- bzw. Gasanteil betrieben werden können. Damit ist eine flexible Fahrweise zunächst denkbar, jedoch findet das Anfahren neuer Betriebspunkte im Zeitraum von Tagen bis Wochen statt, um die Konvektionsströmungen in der Schmelze aufrechtzuerhalten. Der Wechsel von hohem Strom- zu hohem Gasanteil geht dabei etwas schneller als andersherum. Umso höher der Stromanteil ist, umso schwieriger wird die Einstellung neuer Betriebspunkte, was mit den unterschiedlichen Wärmetransportmechanismen – Konvektion bei Beheizung über Elektroden vs. Wärmestrahlung bei Flammenfeuerung – zusammenhängt. Bei einigen hybriden Wannen etwa im Behälterglas ist eine kurzzeitige Stromreduktion möglich. Diese muss dann jedoch direkt im Anschluss (über-)kompensiert werden.

Wie sehen Sie das Thema Flexibilisierung im Kontext der Dekarbonisierung? Sind diese beiden Themen eher ergänzend oder besteht an der einen oder anderen Stelle ein Zielkonflikt?

Aus systemischer Sicht können Energieflexibilitätspotenziale im Energiesystem dazu beitragen, erneuerbare Energien besser zu integrieren, indem der Stromverbrauch, wo möglich, an der fluktuierenden Erzeugung ausgerichtet wird. Aus Perspektive der Akteure, insbesondere in der Glasindustrie, kann es jedoch Zielkonflikte geben. Hier sind insbesondere drei Punkte hervorzuheben: 

  1. Eine Dekarbonisierung der Glasindustrie, egal ob überwiegend basierend auf hybriden oder vollelektrischen Schmelzwannen, geht immer mit einer signifikanten Elektrifizierung der Standorte einher. Das bedeutet, dass durch die Dekarbonisierung zukünftig ein deutlich höherer, konstanter und unterbrechungsfreier Strombezug notwendig ist.
  2. Jeder Energieträgerwechsel verkürzt die Lebensdauer der Schmelzwannen und damit die Investitionszyklen.
  3. Eine Variation der Energieträgeranteile bzw. ein Betrieb der Schmelzwannen abseits des optimalen Betriebspunktes gehen immer zulasten der Energieeffizienz.

Zur Person

Hannes Kracht, Senior Research Consultant and Projektingenieur
Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft mbH (FfE)

Hannes Kracht verbindet als Senior Research Consultant und Projektingenieur an der FfE Wissenschaft und Praxis. Er beschäftigt sich mit Themen rund um die Industrietransformation sowie Projekten im Bereich Carbon Management. Neben der Bearbeitung von wissenschaftsbasierten Studien und Beratungsprojekten erstellt er beispielsweise in Transformationsplänen (BAFA Modul 5) praxistaugliche und zukunftsfähige Energieversorgungskonzepte für Industriestandorte, um diese auf ihrem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen. Hannes Kracht studierte an der TU München Chemieingenieurswesen (B. Sc.) und Energie- und Prozesstechnik (M.Sc.).

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.
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