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Drei Fragen an... Dr. Jörg Unger, BASF

Eine Industrieanlage

Dr. Jörg Unger arbeitet seit über 23 Jahren in der Chemiebranche. Er ist beim Chemiekonzern BASF als Senior Vice President, Corporate Technology tätig.

Portrait von Jörg Unger der Firma BASF
Dr. Jörg Unger

Die chemische Industrie ist bisher vor allem auf Kontinuität in der Grundversorgung mit Energie und Rohstoffen sowie in ihren Prozessen ausgerichtet. Wie kann sich die Chemieindustrie in Zukunft auf fluktuierende Energie und Rohstoffe einstellen?

Die chemische Industrie ist der hocheffiziente Lieferant von Grundprodukten für eine diverse Industrielandschaft. Heute sind Öl und Gas dafür die Rohstoffe und Energieträger, die kontinuierlich verfügbar sind. Mit Großanlagen in hoher Auslastung konnten auf dieser Rohstoffbasis hocheffiziente Verbundstandorte ausgebaut werden. Dies erlaubt die ebenso kostengünstige wie profitable Versorgung der Industrie mit Materialien und Chemikalien. Diese über viele Jahre gereifte Industrielandschaft definiert unser globales Wettbewerbsumfeld, in dem wir uns auch während Transformation behaupten müssen. Die chemische Industrie ist sich voll bewusst, dass ihre Transformation aufgrund des Klimawandels unabdingbar ist.

Die Nutzung erneuerbarer Energie spielt eine Schlüsselrolle bei der Reduktion von CO2-Emissionen. Produktionsprozesse, die erneuerbare Energie (v.a. Grünstrom) nutzen, sind den etablierten Prozessen gegenwärtig aus mehreren Gründen unterlegen. Zum einen müssen heute verbrennungsbasierte Prozesse elektrifiziert werden und dann zur Effizienzsteigerung eine Lernkurve durchlaufen. Zum anderen müssen ausreichende Mengen Grünstrom verlässlich und auch gegenüber fossilen Quellen wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein. Das ist heute nicht der Fall. Neben Investitionen in die Energieverteilung sind Investitionen in die Energiespeicherung nötig. Ohne die Speicherung müssten die chemischen Produktionsanlagen zusätzlich zur Elektrifizierung noch den Aufwand einer Flexibilisierung stemmen, was noch höhere Investitionen bei geringerer Effizienz nach sich ziehen würde.

Insbesondere die notwendige Infrastruktur für eine treibhausgasneutrale Chemieindustrie, beispielsweise zur Versorgung mit Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff, bedingt eine zunehmende Verflechtung der Sektoren. Wie kann man diese Zusammenarbeit stärken?

Die nötige Infrastruktur zügig zu schaffen – und ein förderlicher regulatorischer Rahmen für deren Nutzung – bringt den Wandel erst in Schwung. Der massive Ausbau von erneuerbarer Energie und deren Transportinfrastruktur – über Deutschland hinweg! – schafft einen wesentlichen Hebel, um den Wandel in vielen Bereichen zu ermutigen, seien es Wärmepumpen, E-Mobilität oder die Elektrifizierung der Industrie.

Für Wasserstoff gilt Ähnliches: Zentral für eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft ist es, die Herstellung von Wasserstoff anzuregen und seinen Transport zu ermöglichen. Bei BASF setzen wir bevorzugt auf die gegenüber der energetischen Nutzung hochwertigere stoffliche Nutzung von Wasserstoff. Wasserelektrolyse1 und Methanpyrolyse2 verschaffen uns zukünftig Zugang zu CO2-frei hergestelltem Wasserstoff, der dadurch wiederum eng an Verfügbarkeit und Preis von erneuerbarer Energie hängt. Denn letztlich ist Wasserstoff eine andere Darreichungsform von Grünstrom. Daher wird Deutschland auch auf den Import von Wasserstoff angewiesen sein – aus europäischen Ländern und darüber hinaus. Ein Wasserstoffpipelinenetz muss etabliert werden, sowohl auf Basis der Umnutzung bisheriger Gasleitungen als auch durch Neubau von Leitungen. Je eher das beginnt, umso schneller können Nutzer – insbesondere die Industrie oder ungünstig elektrifizierbare Bereiche der Mobilität (z.B. Schwerlast) – die Umstellung auf sauberen Wasserstoff angehen. Regulatorisch braucht Wasserstoff eine einheitliche, technologieoffene Klassifizierung und Zertifizierung, um einen verlässlichen Investitionsrahmen zu gewährleisten.

Der massive Ausbau von erneuerbarer Energie und deren Transportinfrastruktur – über Deutschland hinweg – schafft einen wesentlichen Hebel, um den Wandel ermutigen, seien es Wärmepumpen, E-Mobilität oder die Elektrifizierung der Industrie.

Die chemische Industrie gilt als Schlüsselindustrie der Dekarbonisierung: Sie ist energieintensiv und nutzt bisher überwiegend fossile Rohstoffe wie Öl und Gas. Wie schätzen Sie die Rolle der Chemie im Transformationsprozess der Industrie ein?

Eine leistungsfähige chemische Industrie ist unabdingbar für eine diverse produzierende Industrielandschaft, die das Rückgrat des Wohlstands in Deutschland und Europa ist. Die erfolgreiche Transformation der Chemie ist von entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung, weil damit eine klimafreundliche, wettbewerbsfähige Chemieproduktion hier in Deutschland und Europa erhalten bleiben kann. Wir haben beste Voraussetzungen, um neue, CO2-arme Produktionstechnologien hier zu entwickeln und dann weltweit zum Einsatz zu bringen. Sie tragen dann dazu bei, dass sich die Chemieproduktion weltweit wandelt und bieten Geschäftsopportunitäten für unsere Ausrüster aus dem Apparate- und Anlagenbau. Die erfolgreiche Multiplikation hätte einen erheblichen Effekt auf den globalen Klimaschutz, denn die Chemie ist immerhin für rund 7 Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich. Wir sind fest entschlossen, neue Verfahren an unseren Standorten weltweit zum Einsatz bringen.

Ich bin überzeugt: Es lohnt sich, die Umstellung der Chemieproduktion voranzubringen und in sie zu investieren. Auch die aktive öffentliche Förderung der Entwicklung neuer Produktionstechnologien wird sich bezahlt machen. Über die neuen Technologien für die eigene Produktion hinaus bietet die chemische Industrie Lösungen an, mit denen unsere Kunden zur Dekarbonisierung beitragen können, beispielsweise mit Leichtbau- und Isolationsmaterialien, Batteriechemikalien und recyclingfähigen Kunststoffen. Außerdem liefern wir Hilfsstoffe (zum Beispiel Katalysatoren), die die Prozesse unserer Kunden weniger CO2-intensiv und rohstoffeffizienter machen.

Zur Person

Dr. Jörg Unger
Senior Vice President, Corporate Technology | BASF SE

Jörg Unger wurde 1965 in Marbach geboren. Er studierte Technische Kybernetik an der Universität Stuttgart, wo er 1991 seinen Ingenieursabschluss erhielt. Zudem hat er einen Master of Science in Chemical Engineering der Universität von Wisconsin, Madison. Nach sechs Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für chemische Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart und seiner Promotion zum Dr.-Ing. trat er 1997 in die BASF ein. Dort hatte Jörg Unger verschiedene Positionen an den Standorten Ludwigshafen, Tarragona und Antwerpen inne.

Weiterführende Informationen: www.basf.com/klimaschutz


1 Wasserelektrolyse ist die elektrochemische Zerlegung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff durch elektrischen Strom. Beim Einsatz von erneuerbarem Strom wird das Produkt auch als „grüner“ Wasserstoff bezeichnet.

2 Methanpyrolyse ist die thermische Zerlegung von Methan in Wasserstoff und festen Kohlenstoff. Bei Einsatz von erneuerbarer Energie zur Wärmeerzeugung wird das Produkt auch als „türkiser“ Wasserstoff bezeichnet.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.

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