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Drei Fragen an... Dr. Martin Theuringer, Wirtschaftsvereinigung Stahl

Glühende Stahlbalken in der Produktion

Dr. Martin Theuringer ist Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dem wirtschaftspolitischen Verband der deutschen Stahlindustrie. Er ist ein anerkannter Industrieexperte für stahlwirtschaftliche und industriepolitische Themen.

Dr. Martin Theuringer, CEO Wirtschaftsvereinigung Stahl
Dr. Martin Theuringer

Welchen Beitrag kann ein stahlproduzierendes Unternehmen zum Markthochlauf von grünem Stahl leisten?

Die Stahlunternehmen in Deutschland haben eine Vielzahl von Konzepten für eine grüne Transformation entwickelt. Im Zentrum steht insbesondere der Technologiewechsel in der Primärstahlproduktion. Bis 2030 könnten bei Vorliegen der politischen Rahmenbedingungen bereits ein Drittel der Produktion auf CO2-arme Verfahren umgestellt und die CO2-Emissionen um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Zusätzliche Einsparungen können durch Maßnahmen im bestehenden System (z. B. Erhöhung des Schrottanteils oder auch das Wasserstoffeinblasen im Hochofen) erzielt werden. Zudem steht mit der schrottbasierten Elektrostahlproduktion ein zweiter Baustein für eine klimaneutrale Stahlindustrie zur Verfügung. Hier können durch den Einsatz von grünem Strom die indirekten Emissionen gesenkt und damit weitere Schritte zum Markthochlauf von grünem Stahl gegangen werden.

Was ist aus Ihrer Sicht das größte Hemmnis für die Einführung von grünem Stahl?

Die Unternehmen brauchen einen breiten und zusammenhängenden Mix an Instrumenten, damit tragfähige Geschäftsmodelle für grünen Stahl entstehen und entsprechende Investitionsentscheidungen getroffen werden können. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell besteht gegenwärtig aber noch nicht. Es fehlt an Planungssicherheit mit Blick auf die Anschubfinanzierung und an einer sicheren Versorgung mit ausreichend grünem Strom und Wasserstoff zu vertretbaren Preisen. Vor allem aber ist die Frage noch nicht geklärt, wie die höheren Verfahrenskosten ausgeglichen werden können, die mit neuen Produktionsverfahren verbunden sind. Carbon Contracts for Difference1 werden zu Beginn benötigt. Die Ausgestaltung ist aber noch unklar und die Förderprogramme noch nicht auf einen raschen Markthochlauf ausgerichtet. Auch fehlt es an einer klaren Perspektive, wie und mit welchen Instrumenten Märkte für grünen Stahl und andere klimaneutrale Grundstoffe geschaffen werden können.

Klimaschutzverträge werden ein Schlüsselinstrument sein, um die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Stahl abzusichern, bis Märkte für klimaneutrale Grundstoffe etabliert sind.

Welches Leitmarktinstrument hilft aus Ihrer Sicht am effektivsten, um Wettbewerbsnachteile und mögliche Abwanderung der produzierenden Unternehmen in Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen (Carbon Leakage) zu vermeiden?

Klimaschutzverträge werden ein Schlüsselinstrument sein, um die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Stahl abzusichern, bis Märkte für klimaneutrale Grundstoffe insoweit etabliert sind und die hiermit verbundenen Mehrkosten im Markt auch hinreichend abgebildet werden. Solche Märkte bilden sich allerdings nicht von alleine heraus. Daher braucht es staatliche Regulierung, etwa in Form einer Quote oder eines Designstandards. Solche Leitmarktinstrumente können den Markthochlauf unterstützen und den Einsatz von Klimaschutzverträge flankieren, diese aber nicht ersetzen.

Mit Blick auf die Carbon-Leakage-Diskussion muss auch beachtet werden, dass sich die Transformation stufenförmig vollzieht. Folglich braucht es auch einen wirksamen Schutz für die Anlagen, die noch nicht in Richtung CO2-Neutralität umgestellt wurden, sich jedoch wachsenden Belastungen aus dem Emissionsrechtehandel gegenübersehen. Hierfür werden gegenwärtig verschiedene Varianten im Rahmen des Carbon-Border-Adjustment-Mechanismus (CBAM)2 diskutiert. Aus Sicht der Stahlindustrie ist zentral, dass durch eine ausreichende kostenlose Zuteilung an Zertifikaten und Strompreiskompensation die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Stahlstandortes Deutschland gesichert und auf diese Weise Investitionsspielräume für die grüne Transformation erhalten werden. 

Zur Person

Dr. Martin Theuringer
Geschäftsführer | Wirtschaftsvereinigung Stahl

Dr. Martin Theuringer ist seit 2003 bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) in verschiedenen Positionen beschäftigt: Seit 2006 als Chefvolkswirt und seit 2008 als Leiter des Geschäftsfeldes Wirtschaft. Im April 2017 wurde er zum Geschäftsführer berufen. Martin Theuringer verantwortet im Verband insbesondere die Bereiche Wirtschaftspolitik, Konjunkturanalysen, Statistik, volkswirtschaftliche Studien und die Transformation der Stahlindustrie. Er ist seit vielen Jahren Mitglied in verschiedenen Industrieausschüssen u. a. beim BDI, bei Worldsteel und bei Eurofer tätig. Er hat Volkswirtschaftslehre in Köln und in Kiel studiert und am wirtschaftspolitischen Seminar an der Universität zu Köln zu Fragen der Außenhandelspolitik promoviert.


1 Carbon Contracts for Difference (CCfDs) garantieren einen CO2-Preis bei Investitionen in klimaschonende Projekte, um die mit den Schwankungen des CO2-Preises verbundenen Hemmnisse zu verringern.

2 Carbon-Border-Adjustment-Mechanismus (CBAM) ist ein CO2-Grenzausgleich, der importierte Produkte entsprechend ihrer CO2-Emissionen mit Kosten belegt, wenn diese aus Regionen mit geringeren CO2-Preisen stammen.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.

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