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Drei Fragen an... Lisa-Maria Okken und Felix Schmidt, WWF

Glühende Stahlbalken in der Produktion

Lisa-Maria Okken und Felix Schmidt arbeiten als Policy Advisors Climate & Energy beim WWF Deutschland. Bei der Umweltschutz-Organisation beschäftigen sie sich schwerpunktmäßig mit der Umgestaltung des Energiesektors sowie Politikinstrumenten und Technologien, die es für die Transformation zur Klimaneutralität braucht.

Foto von Lisa-Maria Okken, Policy Advisor Climate & Energy beim WWF Deutschland
Lisa-Maria Okken, WWF Deutschland

Wie kann der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) aus Ihrer Sicht weiterentwickelt werden, damit er als Instrument für Anreize zur Investition in Transformationsmaßnahmen dient? Gibt es andere Instrumente, die diese Anreize ermöglichen?

Lisa-Maria Okken: Der Europäische Emissionshandel hat in der Vergangenheit leider nicht zu der erforderlichen Emissionsreduktion in der Industrie beigetragen. Durch die Vergabe der kostenlosen Zuteilung an die Industrie im Rahmen des EU-ETS wurde das CO2-Preissignal abgeschwächt und der Anreiz auf klimafreundliche Verfahren umzustellen entfällt. Deswegen fordert der WWF bereits sehr lange die Beendigung der kostenlosen Zuteilung. Ein Auslaufen in 2034, wie es in der aktuellen Reform beschlossen wurde, ist zu spät. Die Weitergabe des CO2-Preissignals würde eine Lenkungswirkung entfalten und der Industrie Planungssicherheit geben, langfristig die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen. Solange die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten weiterläuft, sollten Fehlanreize korrigiert werden, indem alle Unternehmen, die von der kostenlosen Zuteilung profitieren, Gegenleistungen erbringen. Sie sollten beispielsweise nachweisen, dass sie in Energieeffizienz und Klimaschutzmaßnahmen investieren und Transformationspläne vorlegen. Setzen Unternehmen diese Maßnahmen nicht um, sollte die kostenlose Zuteilung um 80 Prozent gekürzt werden.

Die Weitergabe des CO2-Preissignals würde eine Lenkungswirkung entfalten und der Industrie Planungssicherheit geben, langfristig die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen.
Lisa-Maria Okken

Die Definition für grünen Stahl dient als Basis für die grünen Leitmärkte. Wie weit ist man mit dieser Definition im globalisierten Kontext? Wie muss diese Definition weiterentwickelt werden?

Lisa-Maria Okken: Nur wenige Grünstahldefinitionen geben konkrete Ziele für die CO2-Emissionen vor, die pro Tonne Stahl emittiert werden. Zudem mangelt es bisher an gemeinsamen Produktkennzeichnungsregeln. Stahlunternehmen sollten sich bei der Formulierung ihrer Klimastrategien vorerst auf anerkannte Standards und unternehmenseigene Emissionsminderungspfade auf der Grundlage der Wissenschaft stützen. Dabei sollten sie sich zwei Fragen stellen: Ist das Produkt mit dem Ziel Netto-Null-Emissionen vereinbar? Und wird das Produkt mit erneuerbaren Energien hergestellt? Zudem sollte darauf geachtet werden, dass der gesamte Lebenszyklus einer Tonne Stahl berücksichtigt wird. Eine Möglichkeit zur Klärung der Produktkennzeichnung könnte eine neue ISO-Norm für grünen Stahl sein, auf die sich alle Stahlhersteller stützen müssten.

Foto von Felix Schmidt, Policy Advisor Climate & Energy beim WWF Deutschland
Felix Schmidt, WWF Deutschland

Welche Lektionen und Lehren können aus dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Transformation von Strukturwandelregionen gezogen werden, um die Akzeptanz der Anwohner*innen an Infrastruktur-Transformationsstandorten zu steigern?

Felix Schmidt: Entscheidend ist eine frühzeitige Beteiligung mit einem Mix aus formellen, informellen und finanziellen Instrumenten. Hier ist Proaktivität wichtig, denn angesichts des schnellen Informationsflusses über digitale Medien wird ein potenzielles Informationsvakuum sofort durch Fremdakteure gefüllt – im Zweifel mit Falschinformationen. Deshalb sollte von Beginn an das Zielbild klar kommuniziert werden. Für den Erfolg des Transformationsprozesses braucht es Planbarkeit, Transparenz und Koordination – ebenso wie ausreichend finanzielle Mittel. Regionale Besonderheiten, etwa bestimmte Wertvorstellungen, sollten nach Möglichkeit in den Prozess einfließen. Oft ist es beispielsweise wichtig, dass die Wertschöpfung vor Ort gehalten wird. Es kommt zudem darauf an, dass eine Beteiligung nicht nur pro forma erfolgt, sondern tatsächlich Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht. Entscheidungen, die im Verlauf des Prozesses getroffen werden, müssen nachvollziehbar sein, um Legitimation zu erfahren. Erforderlich hierfür sind vollständige Informationen auf beiden Seiten sowie eine gemeinsame Vertrauensbasis und Kommunikation auf Augenhöhe.

Für den Erfolg des Transformationsprozesses braucht es Planbarkeit, Transparenz und Koordination – ebenso wie ausreichend finanzielle Mittel.
Felix Schmidt

Zu den Personen

Lisa-Maria Okken
Policy Advisor | WWF Deutschland

Lisa-Maria Okken arbeitet beim WWF Deutschland als Policy Advisor zum Klimaschutz in der Industrie und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Politikinstrumenten und Technologien, die es für die Transformation zur Klimaneutralität braucht. Lisa-Maria Okken hat einen Masterabschluss in European Public Policy und war vor ihrer Anstellung beim WWF in Brüssel und Berlin in Verbänden zur Energiewende und Industrietransformation tätig.

Felix Schmidt
Policy Advisor | WWF Deutschland

Felix Schmidt ist Policy Advisor für Klimaschutz- und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Dort arbeitet er zur Transformation des Stromsektors mit Schwerpunkt auf Erneuerbaren Energien. Erste Branchenerfahrungen sammelte er während der Studienzeit bei zwei Energiekonzernen. Felix hat Volkwirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Politik in Berlin und Münster studiert und Auslandsaufenthalte in Madrid und Melbourne absolviert.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.
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