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Drei Fragen an... Dr. Christoph Müller, VDZ Technology

Abbau von Kreide

Dr. Christoph Müller engagiert sich für die Forschung an der Zementherstellung von morgen. Er ist Geschäftsführer der gemeinnützigen VDZ Technology gGmbH, ein Bereich des Vereins Deutscher Zementwerke (VDZ).

Foto von Christoph Müller
Um das Ziel der Klimaneutralität der Betonbauweise zu erreichen, bedarf es der Hinwendung zu klimafreundlichen Konstruktionsprinzipien insbesondere bei Bauerherren, Planern und Architekten.
Dr. Christoph Müller, VDZ Technology gGmbH

Die deutsche Zementindustrie arbeitet seit vielen Jahren an Strategien zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen. Im November 2020 hat der VDZ eine CO2-Roadmap veröffentlicht, die Minderungspfade und wichtige Handlungsfelder aufzeigt. Welche sind das?

Mit der Roadmap haben wir gezeigt: Eine klimaneutrale Betonbauweise ist möglich; aber auch eine große Herausforderung. Die Mitwirkung der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zu Planern und Architekten ist gefragt, denn bei der weiteren Minderung ihrer CO2-Emissionen stößt die Zementindustrie zunehmend an Grenzen, weil insbesondere die prozessbedingten CO2-Emissionen der Klinkerherstellung mit konventionellen Maßnahmen nicht beliebig zu mindern sind. Es wird darauf ankommen, neben konventionellen Minderungsmaßnahmen auch ganz neuartige Technologien in der Herstellung und Anwendung von Zement und Beton einzusetzen. Dazu gehören neben der Verwendung teils neuer, CO2-effizienter Rohstoffe in der Produktion von Zement und Beton sowie materialsparender Konstruktionsprinzipien letztlich auch die Abscheidung von CO2 im Zementwerk und dessen anschließende Nutzung bzw. Speicherung („Carbon Capture and Utilisation/Storage“).

Um CO2-reduzierte Zemente in Bauprodukten einsetzen zu können, sind Zulassungen oder Anpassungen von Normen und Regelwerken notwendig. Was ist bereits jetzt möglich, um CO2-reduzierten Zementen und Betonen den Zugang zum Markt zu erleichtern?

Die Verwendung von klinkereffizienten1 Zementen und Betonen mit mehreren Hauptbestandteilen im Zement hat in Deutschland eine lange und erfolgreiche Tradition. Klinkereffiziente Zemente kommen in Deutschland also bereits seit vielen Jahren zum Einsatz, auch weil dadurch die CO2-Emissionen aus der Zementherstellung reduziert werden können. Der Klinker-Zement-Faktor konnte in den letzten Jahrzehnten auf 71 % gesenkt werden. Dadurch haben die Zementhersteller in Deutschland in signifikanter Weise CO2-Emissionen eingespart. Die aktuellen Betonnormen DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 enthalten die Anwendungsregeln für Normzemente in Abhängigkeit von den Expositionsklassen, die die Einwirkungen aus verschiedenen Umgebungsbedingungen einordnen. Enthalten die Betonnormen für einen Zement keine oder eine sehr eingeschränkte Anwendungsregel, so wurde und wird auch heute in diesen Fällen der Nachweis der Eignung für die Anwendung in bestimmten Expositionsklassen durch eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) erbracht.
Für die neuen Portlandkompositzemente2 CEM II/C-M liegen bereits erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen vor. Ebenso ist der Normungsprozess angestoßen, die entsprechende Produktnorm DIN EN 197-5 soll in Kürze erscheinen. Untersuchungen des VDZ haben auch bereits gezeigt, dass bei Einsatz dieser Zemente in Betonen diese die Eigenschaften erfüllen, die für den üblichen Hochbau notwendig sind. Somit können CO2-reduzierte Zemente und Betone schon heute breit zur Anwendung kommen.

Mit der Zertifizierung des Concrete Sustainability Council (CSC) kann jetzt auch der Herstellungsprozess von Beton und dessen Wertschöpfungskette gezielt auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen bewertet werden. Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile dieses Instruments für Hersteller*innen und Bauherr*innen?

Um das Ziel der Klimaneutralität der Betonbauweise zu erreichen, bedarf es der Anreize und der technischen Hilfestellung für die Verwendung klimafreundlicher Zemente und Betone sowie klimafreundlicher Konstruktionsprinzipien insbesondere bei Bauerherren, Planern und Architekten. Denn diese treffen zu Beginn eines Bauprojektes wegweisende Entscheidungen. Dafür sind baustoff- und technologieneutrale Rahmenbedingungen wichtig. Normen und Richtlinien, Vergabe und Ausschreibung sowie das Bauordnungsrecht bilden das grundlegende Handwerkszeug.
Nachhaltigkeitsbewertungs- und Zertifizierungssysteme können darüber hinaus einen Beitrag leisten, wobei die Nachhaltigkeit eines Gebäudes mehr ist als die CO2-Einsparung bei der Baustoffherstellung. Das Concrete Sustainability Council (CSC) ist dabei ein Beitrag der Industrie zur Förderung der Transparenz über den Herstellungsprozess von Beton und dessen Wertschöpfungskette sowie die Auswirkungen auf das soziale und ökologische Umfeld. Die CSC-Zertifizierung soll zu einer weiteren kontinuierlichen Steigerung im nachhaltigen Wirtschaften der Zement-, Rohstoff- und Betonindustrie führen. Die Branche leistet damit einen wichtigen Beitrag für das nachhaltige Bauen in Deutschland. Der Wert des CSC ergibt sich insbesondere aus der Anerkennung durch internationale Systeme zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden. Dies sind Systeme wie BREEAM und das der DGNB, die beide das CSC bereits anerkennen. Aktuell wird innerhalb des CSC diskutiert, ob und wie das Thema CO2 zukünftig noch konkreter adressiert wird.

Zur Person

Dr. Christoph Müller
Geschäftsführer | VDZ Technology gGmbH und Abteilungsleiter Betontechnik

Nach Abschluss seines Studiums des Bauingenieurwesens an der RWTH Aachen war Dr.-Ing. Christoph Müller wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bauforschung der RWTH Aachen (ibac). Seit seiner Promotion im Jahr 2000 ist er im Forschungsinstitut der Zementindustrie in Düsseldorf tätig und betreut maßgeblich den Themenschwerpunkt Betontechnologie und hier insbesondere die Dauerhaftigkeit von Beton. Christoph Müller ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Normungsgremien des Betonbaus. Seit 2012 ist er Geschäftsführer der VDZ Technology gGmbH. Zudem ist er seit 2014 als Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) tätig.

Weiterführende Informationen: www.vdz-online.de/dekarbonisierung


1 Klinkereffizienz: Der in Zementen enthaltene Zementklinker ist aufgrund seiner Herstellung mit hohen brennstoff- und prozessbedingten CO2-Emissionen verbunden. Zementklinker ist aber auch der Bestandteil, der maßgeblich für die Festigkeiten und weitere Eigenschaften von Mörteln und Betonen verantwortlich ist. In klinkereffizienten Zementen wird der Anteil an Zementklinker, abhängig vom vorgesehenen Anwendungsfall, so effizient wie möglich eingesetzt.

2 Portlandkompositzemente: Dabei handelt es sich nach DIN EN 197-1 um eine Zementart, die aus den Hauptbestandteilen Zementklinker (mindestens 65 M.-%) sowie Hüttensand, natürliches Puzzolan, Flugasche, gebrannter Ölschiefer oder Kalkstein und anderen Nebenbestandteilen besteht. Die neuen Portlandkompositzemente CEM II/C-M nach DIN EN 197-5 zeichnen sich durch einen niedrigeren Zementklinkergehalt von nur 50 bis 64 M.-% bei einem Anteil des ungebrannten Kalksteins von jeweils bis zu 20 % aus. Damit tragen sie zur CO2-Einsparung bei.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.

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