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Drei Fragen an... Johannes Kreißig, DGNB e. V.

Abbau von Kreide

Nachhaltiges Bauen beschäftigt Johannes Kreißig bereits seit Mitte der Neunziger Jahre. Er ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e. V.) und war maßgeblich an der Entwicklung des gleichnamigen Zertifizierungssystems beteiligt. Als Non-Profit-Organisation hat es sich die DGNB zur Aufgabe gemacht, Lösungen für nachhaltiges Planen, Bauen und Nutzen von Bauwerken zu entwickeln und zu fördern.

Foto von Johannes Kreissig, DGNB
Nachhaltiges Planen und Bauen beginnt mit der ‚Leistungsphase 0’. Das heißt Nachhaltigkeit muss von Beginn an mitgedacht werden und integraler Bestandteil des Prozesses sein.
Johannes Kreißig, DGNB e.V.

Die Baubranche steht in den kommenden Jahren vor vielen Herausforderungen. Dazu zählen neue Herstellungsprozesse, neue Bauweisen sowie die digitale Transformation der Branche. Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für das nachhaltige Bauen?

Wir sind beim Klimaschutz viel zu langsam. Das klingt jetzt vielleicht komisch, wenn man die Umbrüche in den Branchen sieht. Aber wir werden beim Klimaschutz sehr viel schneller werden müssen, um eine Chance zu haben, die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu erhalten. Wie in der Automobilindustrie, wo im Moment die Umstellung auf Elektromobilität im Zeitraffer abläuft, erwarte ich, dass dieser Kipppunkt auch in der Baubranche kurz bevorsteht. Der Trigger kommt dabei von der Finanzierungsseite wie beispielsweise von der EU-Taxonomie-Verordnung. Da es sich ja um langfristige Investitionen handelt ist das höchst relevant und die Randbedingungen verändern sich gerade dramatisch. Nicht-nachhaltige Investitionen werden sehr bald nur noch zu deutlich schlechteren Konditionen finanziert werden, wenn überhaupt noch.
Parallel dazu haben wir das Problem, das Wissen über das nachhaltige Bauen schnell genug in den Markt zu bekommen. Es reicht ja nicht, wenn es jemand will, aber nur zu wenige es können. Hier müssen die Länder zusammen mit der Wirtschaft Qualifizierungsoffensiven anschieben.

Bei einer DGNB-Zertifizierung werden für Gebäude verschiedenste Kriterien (z.B. ökologische, ökonomische oder technische Qualität) betrachtet. Sie haben einmal gesagt: „Nachhaltiges Bauen ist mehr als eine Ansammlung von Kriterien“. Was zeichnet die DGNB-Zertifizierung im Vergleich zu anderen Zertifizierungssystemen aus?

Als Planungs- und Optimierungstool hilft die DGNB-Zertifizierung allen am Bau Beteiligten bei der Umsetzung einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsqualität. Zunächst bewertet das DGNB System systemisch, wo möglich den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden. Das heißt, der Beitrag zur Zielerreichung wird gemessen und einem Benchmark gegenübergestellt. Diese performancebezogene Betrachtung führt dazu, dass die Bewertung keine Innovationsbremse wird. Denn der Weg der Zielerreichung ist im Gegensatz zur maßnahmenbezogenen Checkliste offen. Konkret bedeutet dies am Beispiel Klimaschutz, dass ein CO2-Zielwert für den gesamten Lebenszyklus zu erreichen ist. Dabei ist offen, wie viel CO2 in der Herstellung in Materialien „investiert“ wird. Es bleibt dann eben weniger für die Nutzung. Wir legen auch beispielsweise nicht die U-Werte1 einzelner Bauteile fest. Das muss der Planer mit dem Blick für das Ganze machen. Es zählt, was am Ende rauskommt.
Darüber hinaus ist das DGNB System das einzige internationale System, das wirklich ganzheitlich alle Säulen der Nachhaltigkeit umfänglich einbezieht und damit die Bewertung in die notwenige Balance bringt. Für die Masse der Gebäude nutzt es nichts, wenn die ökologischen Kriterien zwar gut sind, jedoch die Bedürfnisse der Nutzer bzgl. Komfort oder Gesundheit oder die Bedürfnisse der Investoren bzgl. Lebenszykluskosten oder Werterhalt nicht stimmen.

Was sind Ihrer Meinung nach die vielversprechendsten Lösungsansätze für nachhaltiges Bauen und was sind die Strategien der DGNB, um den Wandel in der Branche zu unterstützen?

Nachhaltiges Planen und Bauen beginnt mit der „Leistungsphase 0“, das heißt Nachhaltigkeit muss von Beginn an mitgedacht werden und integraler Bestandteil des Prozesses sein. In der Initiative „Phase Nachhaltigkeit“ arbeiten wir mit der Bundesarchitektenkammer zusammen mit über 150 Büros an der Transformation der Planungspraxis hin zur Nachhaltigkeit als neuem Normal. Aber letztlich gibt es nicht den einen Lösungsansatz. Wir müssen in allen Bereichen besser werden, alles andere ist nicht gut genug vor dem Hintergrund der Aufgabe. Und die Potentiale sind riesig.
In unserem Netzwerk bringen wir die Akteure zusammen und fördern den Austausch. Das DGNB System ist das Optimierungsinstrument, um planungs- und baubegleitend die Qualitätssicherung zu machen und über das Zertifikat den unabhängigen Nachweis bereitzustellen. Eine Variante davon wird übrigens auch als Managementwerkzeug zur Optimierung des Betriebs von Gebäuden und Portfolios eingesetzt. Mit der DGNB Akademie qualifizieren wir Nachhaltigkeitsexperten und bieten eine regelmäßige Fortbildung zu den sich schnell weiterentwickelnden Themen.

Zur Person

Johannes Kreißig
Geschäftsführender Vorstand | DGNB e.V.

Nach Abschluss seines Maschinenbaustudiums an der Universität Stuttgart war Johannes Kreißig dort sechs Jahre am Institut für Kunststoffkunde und Kunststoffprüfung (IKP) tätig, zuletzt als Leiter der Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung. Es folgten 16 Jahre bei der thinkstep AG. Dort war er u.a. Director Sustainable Construction und später Vice President Building & Construction. Kreißig ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.), bei der er seit 2016 hauptamtlich als Geschäftsführer der DGNB GmbH und seit 2018 als geschäftsführender Vorstand des DGNB e.V. tätig ist. Seit Juli 2020 sitzt Johannes Kreißig im Board of Directors des World Green Building Councils.

Weiterführende Informationen: www.dgnb.de/nachhaltiges-bauen


1 Der U-Wert, auch Wärmedurchgangskoeffizient genannt, ist ein Kennwert, der die Dämmeigenschaften eines Bauteils angibt. Je weniger Wärme ein Gebäude durch ein Bauteil verliert, also je niedriger der U-Wert ist, desto besser ist die Dämmwirkung.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.

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