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Drei Fragen an... Dr. Simon Wolf, Germanwatch e. V.

Abbau von Kreide

Dr. Simon Wolf hat seit Anfang 2023 die Position des Bereichsleiters für Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch inne. In dieser Funktion konzentriert er sich insbesondere auf die Bereiche deutsche Klimapolitik, Industrie- und Energie-Transformation sowie nachhaltige Digitalisierung.

Portraitfoto von Simon Wolf von Germanwatch
Dr. Simon Wolf

Welche Hindernisse oder Unsicherheiten sehen Sie in der Gesellschaft bei dem Ausbau von innovativen Anlagen und Infrastrukturen? (Im Fokus stehen CCUS Anlagen, Speicherstätten und Pipelines) Welchen Einfluss hat die gesellschaftliche Wahrnehmung auf eine Carbon Management Strategie?

Der erste Versuch, CCS in Deutschland einzusetzen, ist vor etwas mehr als zehn Jahren an starken gesellschaftlichen Widerständen gescheitert. In den vergangenen 2-3 Jahren ist in Deutschland bei Teilen der Gesellschaft eine Öffnung für die Nutzung der Technologie zu beobachten. Das hängt stark mit dem Verständnis zusammen, dass Deutschland für seinen fairen Beitrag zu den Pariser Klimazielen bis 2045 klimaneutral werden muss. Möglich ist das nur, wenn auch die Industrie (nahezu) klimaneutral wird, wofür Stand heute in einigen wenigen Branchen CCS benötigt wird.
Die Vorbehalte gegenüber CCS sind damit nicht ausgeräumt. Es gibt Sorgen sowohl mit Blick darauf, dass CCS als Ausrede genutzt werden könnte, um den dringend notwendigen Ausstieg aus fossilen Energien und die umfassende Transformation der Industrie (Energieeffizienz, auf Erneuerbaren Energien beruhende Prozesse, ambitionierte Kreislaufwirtschaft) zu verzögern oder sogar in Teilen auszusetzen; als auch auf lokaler Ebene mit Blick auf die benötigten Infrastrukturen. Ein gesellschaftlicher Konsens um CCS kann nur gelingen, wenn beiden Sorgen adäquat begegnet wird.

Welche Instrumente und Kanäle sind notwendig, um eine klare transparente Kommunikation mit der Gesellschaft zu schaffen? Wer soll die Kommunikation betätigen?

Mit Blick auf die oben benannten Herausforderungen braucht es zwei Dinge: Erstens ein klares politisches Bekenntnis und nachvollziehbare Schritte für eine umfassende Transformation der Industrie. Die Bundesregierung sollte dazu eine Industriestrategie für die Klimaneutralität entwickeln und veröffentlichen, die den Beitrag von Hebeln wie der Kreislaufwirtschaft benennt und CCS seinen klar begrenzten Anwendungsbereich zuweist. Industrien, die für die Klimaneutralität auf CCS angewiesen sind, sollten diese klare Kommunikation unterstützen. 

Zum anderen muss die Politik das Thema CCS auch in die Fläche bringen: dorthin, wo neue Infrastrukturen für den Transport (und möglicherweise die Deponierung) von CO2 gebaut werden sollen. Die Bundesregierung sollte in diesen Regionen so früh wie möglich den Dialog mit der Bevölkerung suchen und dabei aus den bisherigen Beteiligungsprozessen u.a. in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen lernen. Industrie und an der CCS-Diskussion interessierte Umweltverbände könnten hier gemeinsam eine wichtige Vermittler-Rolle spielen – auf Grundlage einer ambitionierten Industriestrategie für die Klimaneutralität.

Deutschland muss für seinen fairen Beitrag zu den Pariser Klimazielen bis 2045 klimaneutral werden. Möglich ist das nur, wenn auch die Industrie (nahezu) klimaneutral wird, wofür Stand heute in einigen wenigen Branchen CCS benötigt wird.

Welche Rahmenbedingungen sehen Sie bei der Schaffung der grünen Leitmärkte als notwendig? Welche Instrumente müssen zur Akzeptanzförderung für grüne Produkte auf dem Markt geschaffen oder weiterentwickelt werden? Kann dafür die öffentliche Beschaffung als Instrument mit Vorbildfunktion für Privatkunden dienen?

Grüne Leitmärkte können zwei wesentliche Funktionen erfüllen: Erstens haben sie eine Signalwirkung für die Nachfrage nach grünen Materialien und Produkten. Zweitens haben sie eine Finanzierungsfunktion: In dem Maße, in dem – öffentliche oder private – Märkte die Mehrkosten grüner Produkte tragen, muss deren Produktion weniger subventioniert werden.

Zwei Dinge sollte die Politik zeitnah voranbringen: Mit der öffentlicher Beschaffung hat sie ein leicht umsetzbares und wirksames Klimaschutz-Instrument an der Hand, um beispielsweise einen Markt für grünen Zement zu schaffen. Zwar verbleiben die Mehrkosten hier bei der öffentlichen Hand. Aber die grüne öffentliche Beschaffung kann zum Impulsgeber für grüne Märkte werden, indem sie die Standardisierung grüner Materialien und Produkte vorantreibt.

Auf privaten Märkten sollte die Politik grüne Leitmärkte durch Quoten für grüne Materialien vorantreiben. Dafür bieten sich Marktsegmente an, die große Mengen eines Grundstoffs aufnehmen: für grünen Stahl beispielweise Autos (bei denen der Mehrpreis im Vergleich zum Kaufpreis kaum ins Gewicht fällt), oder die Windindustrie, bei denen die öffentliche Hand im Rahmen von Ausschreibungen Vorgaben Anreize schaffen kann.

Zur Person

Dr. Simon Wolf
Bereichsleiter | Germanwatch e. V. 

Dr. Simon Wolf ist seit Anfang 2023 bei Germanwatch als Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik. Sein Fokus liegt dabei auf den Themen Deutsche Klimapolitik, Industrie-Transformation, Energie-Transformation, sowie Nachhaltige Digitalisierung.

Nach seiner Promotion zu ökonomischen Diskursen in der Klimapolitik hat er zunächst für die Heinrich-Böll-Stiftung und danach mehrere Jahre für die European Climate Foundation gearbeitet. Dort verantwortete er zuletzt das Industrie-Programm. Von 2020-2022 leitete er die Geschäftsstelle der Wissenschaftsplattform Klimaschutz der Bundesregierung.

Über die Interviewreihe

In der Rubrik „Drei Fragen an...” kommen Fachleute aus den energieintensiven Industrien zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Aspekte der Dekarbonisierung und sprechen über Strategien für eine klimaneutrale Industrie.

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