Der Weg zur klimaneutralen Glasproduktion
Glas gehört zu den vielseitigsten Werkstoffen und findet in zahlreichen Branchen Verwendung. Es verpackt Lebensmittel und Pharmazeutika, prägt in der Baubranche spektakuläre Architektur wie The Gherkin in London, die Louvre-Pyramide in Paris oder die Christ Cathedral in Kalifornien. Isoliergläser und Glaswolle verbessern die Energiebilanz von Gebäuden. Auch Tablets und Smartphones wären ohne Glasbildschirme undenkbar.
Doch die Glasproduktion belastet das Klima erheblich. In Deutschland entstehen durch die Herstellung von jährlich etwa 7,4 Mio. Tonnen Glas – vor allem Behälter- und Flachglas – rund 4,1 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Um bis 2045 klimaneutral zu werden, muss die Branche ihre Emissionen drastisch senken, ohne Wirtschaftlichkeit, Qualität oder Innovationskraft zu einzubüßen.
Die Herausforderung ist komplex. Etwa dreiviertel der Emissionen stammen aus dem Einsatz fossiler Brennstoffe, der Rest entsteht prozessbedingt, vor allem beim Schmelzen. Hier wird CO₂ bei der Kalzinierung freigesetzt, d. h. bei der Zersetzung von Karbonaten, zu denen auch das häufig als Flussmittel verwendete Natriumkarbonat (Soda) zählt.
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Chance Dekarbonisierung
So funktioniert die Glasherstellung
weniger CO₂-Äquivalente
Durch eine Dekarbonisierung der Glasproduktion können rund 4,1 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente eingespart werden.
Durch die Ölkrise zum Recycling-Pionier
Die infolge der Ölkrise in den 1970er Jahren steigenden Energiekosten machten die Glasindustrie zur Pionierin des Recyclings. Pro Prozent Altglas, das in die Produktion einfließt, sinkt der Energieverbrauch um etwa 0,2 bis 0,3 Prozent. Seitdem arbeitet die Branche kontinuierlich daran, die Energieeffizienz und die Recyclingrate zu steigern. Bei weißem und grünem Behälterglas liegt die Quote heute zwischen 60 und 90 Prozent. Für Flach- und Spezialglas fehlt jedoch noch eine ausreichende Recyclingpraxis.
Die Herausforderungen für die Glasindustrie liegen in der Umstellung von fossile Brennstoffen auf erneuerbare Alternativen.
Forschung für klimafreundliche Verfahren
Die Dekarbonisierung der Glasherstellung erfordert vor allem den Umbau bestehender Glaswannen und den Wechsel von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Alternativen. Technologien wie vollelektrische Glaswannen, Hybridwannen und Super-Hybridwannen ermöglichen den Einsatz von grünem Strom, Erdgas (als Übergangslösung in Hybridkonzepten) und langfristig auch grünem Wasserstoff.
Prozessbedingte Emissionen lassen sich durch den Einsatz vorkalzinierter Karbonate oder alternativer Flussmittel und Stabilisatoren senken. Für unvermeidbare Restemissionen bieten Oxy-Fuel-Schmelzwannen in Kombination mit CO₂-Abscheidung, -Speicherung oder -Nutzung (CCS/CCU-Technologien) eine Lösung.
Rahmenbedingungen als Schlüssel
Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen entscheiden über den Erfolg der Dekarbonisierung. Eine stabile Energieversorgung mit grünem Strom und Wasserstoff sowie staatliche Förderungen für Innovationstechnologien sind essenziell für langfristige Investitionsentscheidungen. Instrumente wie die Klimaschutzverträge, die Betriebskosten kofinanzieren, können Unternehmen bei der Transformation unterstützen.
Auch die Marktakzeptanz für klimafreundliches Glas spielt eine zentrale Rolle. Neue Technologien zur klimafreundlichen Produktion erfordern hohe Investitionen, was zunächst die Preise nach oben treiben kann. Wirtschaftliche Instrumente und neue Geschäftsmodelle müssen diese Differenz ausgleichen, um die Wettbewerbsfähigkeit klimafreundlicher Produkte zu sichern. Nur so kann die Glasindustrie ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten.
Drei Fragen an …
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Michael Wolters, IG BCE
Michael Wolters spricht über die Herausforderungen der Glasindustrie mit Blick auf den Transformationsprozess sowie die Notwendigkeit, die Attraktivität von Arbeitsplätzen zur langfristigen Gewinnung von Fachpersonal zu steigern.
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Katja Witte, Wuppertal Institut
Katja Witte spricht über die Chancen der Industrietransformation für die Glasindustrie und erläutert wie interne und externe Kommunikationsmaßnahmen die Akzeptanz der Veränderungsprozesse bei Mitarbeitenden und der Bevölkerung steigern können.
Geförderte Projekte
Weitere Praxisbeispiele
DisConMelter
Satellitenprojekt von SynErgie zur Entwicklung einer elektrisch beheizten Glasschmelzwanne
Studien zur Dekarbonisierung der Glasindustrie
Weiterführende Informationen
- Umweltbundesamt, Glas, Altglas – Massenprodukt Glas.
- M. Leisin, P. Radgen, Glas 2045 – Dekarbonisierung der Glasindustrie. IER, Universität Stuttgart, Studie im Auftrag des Bundesverband Glasindustrie e.V., Stuttgart, 2022
- Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt (Hrsg.), Treibhausgasemissionen 2022 - Emissionshandelspflichtige stationäre Anlagen und Luftverkehr in Deutschland (VET-Bericht 2022). DEHSt, Berlin, 2023
- European Environment Agency, Data viewer on Total greenhouse gas emissions and removals of the EU, based on data reported by EU Member States under the EU Governance Regulation.
- M. Zier, P. Stenzel, L. Kotzur, D. Stolten, A review of decarbonization options for the glass industry, Energy Conversion and Management: X, Vol. 10, 2021